Zerrissene Saiten
Beschreibung
Pascal Belling
Zerrissene Saiten: Die Geisterstimmen der Geschichtenerzähler. Zur südafrikanischen dwaalstorie
ISBN 978-3-88476-234-9, ISBN 3-88476-234-6, 264 S., kt., € 26,00 (1997)
(Reflections - Literatures in English outside Britain and the USA, Bd. 6)
Dwaal bedeutet auf Afrikaans "sich verirren, abirren". Die dwalstories, mythologische Erzählungen der San-Bevölkerung im südlichen Afrika, behandeln phantastisch-übernatürliche Grenzsituationen, in denen der Protagonist aus den gewohnten sozialen, kulturellen und sprachlichen Ordnungsmustern heraustritt. Die vorliegende Studie untersucht Texte der modernen südafrikanischen Literatur unterschiedlicher Gattungen, die im Rückgriff auf die südafrikanische Erzähltradition der dwaalstorie Verirrungen, raum-zeitliche Grenzüberschreitungen, Krisen- und Chaoserfahrungen thematisieren.
Diese Erzählstrukturen und Motivgeflechte bezeichnen einen "Zwischen-Zeit-Raum", mit dem die Autoren gesellschaftliche Ordnungsmuster in Frage stellen. Die binären Denk- und Wahrnehmungsstrukturen, die auf Marginalisierung des kulturell Anderen beruhen, werden im "Zwischen-Zeit-Raum" aufgelöst.
Dekonstruktivismus, Ethnologie und Psychoanalyse ermöglichen vielfältige Perspektiven auf die Texte, mit denen der grundsätzlichen Offenheit des "Zwischen-Zeit-Raumes" auch methodisch Rechnung getragen wird.
In der Mythologie der San-Geschichtenerzähler besteht die Seele des Menschen aus klingenden "Denksaiten". In den modernen südafrikanischen Texten mit ihren Anknüpfungen an vergangene literarische Ursprünge kehrt der durch Kolonialisierung und Apartheid zum Verstummen gebrachte afrikanische Geschichtenerzähler als "Geisterstimme" wieder: Die zerrissenen Saiten werden im "Zwischen-Zeit-Raum" neu und anders zum Klingen gebracht.
Der vorliegende Band enthält die von Eugène N. Marais auf Afrikaans veröffentlichten dwaalstories
in einer deutschen Übersetzung des Verfassers.